Neulich in der Kirche - oder: Kurz mal im Himmel "Tach" sagen
Kurz vor Beginn der Messe, zu den Publikationen, kommt der alte Mann in die Kirche - ja ich weiß, man sagt jetzt "der Ältere Mann", aber ab achtzig darf man schon mal alt sagen. Er sucht sich einen Platz aus, und zwar einen komplizierten Platz - also jetzt keinen am Rand, sondern einen, den man nur mit Aufwand erreicht! Dort legt er - und in diesem Moment beginnt das Eingangslied - Hut und Gesangbuch ab, und er beginnt sein Programm ritueller Tätigkeiten. Zunächst begibt er sich - während der Priester liturgisch grüßt - zu einer anderen Bank, macht dort eine Kniebeuge und bleibt anschließend zusätzlich noch eine Weile knien. Er erhebt sich wieder, geht zum Bild der Schwester Euthymia, zündet dort eine Kerze an und spricht ein Ave Maria - Natürlich höre ich nicht, was er betet, da ich in diesem Moment das Kyrie mitsinge, aber was wenn nicht ein Ave Maria soll man vor diesem Bild beten. In der Zwischenzeit hat der Priester eine vollständig unverständliche Vergebungsbitte dargeboten. Unser Mann geht weiter zur Marienstatue, einer schmerzreiche Mutter mit dem toten Jesus im Arm. Auch dort wird eine Kerze angezündet und synchron zum langen Glorialied lange gebetet (Als rheinischer Anarchist stelle ich mir vor dem Marienbild natürlich ein Vaterunser vor) danach geht er - das Tagesgebet ignorierend - zurück zu Platz und Hut und erreicht ersteren pünktlich zur zweiten Lesung, was gleichermaßen mit seinem gemächlichen Tempo, wie mit dem Wegfall der ersten Lesung zusammenhängt. Er setzt sich. Nach der Lesung erhebt er sich und verläßt - looking very satisfied - die Kirche, nicht ohne Weihwasser zu nehmen und sich zu bekreuzigen.
Ach, laßt die Liturgiewissenschaftler reden, laßt sie meckern und laßt sie nöhlen; ich für meinen Teil weiß, daß ich einer Heiligen Handlung beigewohnt habe. Ich habe einen Mann gesehen, der mal kurz im Himmel "Guten Tag" gesagt hat und der sicher anschließend nicht nur selbst erbaut war, sondern auch für mich als Beobachter und pro omnibus circumstantibus eine Quelle der Erbauung war.
Labels: Liturgie, rheinisches
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